Leadership und empathisches Zuhören sind eine Kunst – insbesondere, wenn es darum geht, sich als Führungskraft in verschiedene Denkwelten hineinzuversetzen, um dann bewusster und zielorientierter Entscheidungen zu treffen und Veränderungen zu gestalten.
In Zeiten, in denen das soziale, ökonomische und ökologische Wohlergehen gefährdet ist, bedarf es neben innovativen Denken auch empathisches Zuhören für den Umgang mit Herausforderungen im Rahmen von Leadership. Die Komplexität der Probleme braucht eine andere Qualität der Herangehensweise, da einige Bewältigungsmuster aus der Vergangenheit an Gültigkeit verlieren oder bereits verloren haben. Die Umbrüche in Märkten sowie im sozialen und politischen Umfeld erfordern bei Führungsentscheidungen mehr und mehr die Orientierung an den Zukunftsmöglichkeiten. Gleichzeitig ist bei der Transformation überkommender Strukturen und Prozesse der Blick sowohl auf die materielle (Gewinn) als auch auch die ideelle (Sinnerleben) Wertschöpfung bedeutsam.
Was wir im Zeitalter der Disruption steuern können, ist die innere Reaktion auf die meist als krisenhaft erlebte Zerrüttung. Die Zukunft unserer Systeme hängt mit von unseren Entscheidungen ab. Wir können uns gemäß dem Motto „Augen zu und durch“ dem Neuen gegenüber verschließen und an alten Mustern festhalten. Oder aber wir öffnen uns und hinterfragen unsere bisherige Wahrnehmung mit den dazugehörenden Schlussfolgerungen, die sich in unseren Aktivitäten widerspiegeln.
Empathisch zuzuhören bedeutet in diesem Zusammenhang, den eigenen Geist, das Herz und den Willen für die im Entstehen begriffene Zukunft zu öffnen. Dieser Prozess der Transformation wird in der U-Theorie von Dr. C. Otto Scharmer als „Presencing“ bezeichnet. Sie gelingt umso leichter, wenn wir uns neugierig und mutig in Bewegung setzen und dabei unser bisheriges Wissen und Beurteilen loslassen. Denn „Wenn ich nicht weiß – und weiß, dass ich nicht weiß -, dann beginne ich wirklich zuzuhören.“ (C. Otto Scharmer 2013)
Nun sind wir ja alle gewisse „Gewohnheitstiere“, da Rituale das alltägliche Leben vereinfachen. Doch genauso gut können dadurch Hindernisse entstehen, wenn es darum geht, in einer Zeit der Unsicherheit Veränderungsprozesse zu gestalten. Wir stehen uns mit der Art und Weise, wie wir uns mit anderen Menschen austauschen, so manches mal selbst im Wege. Haben Sie sich auch schon mal gefragt, welche Denkmuster Sie prägen und worauf Sie Ihre Aufmerksamkeit richten? Manchmal ist es doch so, dass wir uns darauf konzentrieren, dass sich das Gewohnte mittels unserer Beurteilung bestätigt, statt staunend auf andere Perspektiven der Wahrnehmung und Möglichkeiten des Handelns zu blicken?
Leadership fängt mit Self-Leadership an. Angesichts der disruptiven Herausforderungen in der VUCA-Welt bedeutet dies für uns, im privaten und beruflichen Kontext einen Umgang mit Volatilität (Schwankungsintensität), Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität (Mehrdeutigkeit) zu finden. Denn so manches hat in der heutigen Gesellschaft an Gültigkeit verloren.
Ausgehend von der U-Theorie von Otto Scharmer – ein gefragter Aktionsforscher in Bezug auf Veränderungsprozesse in Politik und Wirtschaft – werden in diesem Blog relevante Aspekte für das Leadership-Denken vorgestellt, die Voraussetzung für Zukunftsfähigkeit mit dem dazugehörenden Denken und Handeln sind. Lernen lässt sich eben nicht nur von der Vergangenheit, sondern auch von der Vorstellung der Zukunft.
Neues Denken in der Disruption
Wie kann ich ins Tun kommen, wenn ich nicht weiß, wie ich auf Herausforderungen reagieren soll, da bislang gültige Konzepte an Bedeutung verloren haben? Diese Frage haben sich wohl schon viele gestellt. Von der Zukunft her zu denken und zu handeln, kann dann eine Möglichkeit sein, um einen kreativen, statt reaktiven Weg zu finden.
Wenn wir uns selbst und anderen Menschen beginnen zuzuhören, ja wenn wir anfangen, in uns selbst reinzuhorchen und uns zugleich in andere Menschen mit Empathie hineinzuversetzen, dann können die Ideen ins Bewusstsein gelangen, die darauf warten, in die Welt gebracht zu werden. Und dies geschieht umso leichter, wenn neben dem Verstand auch das Herz gefragt wird. Es geht darum, innezuhalten und ohne Bewertung wahrzunehmen. Statt die Informationen gleich durch vorhandene Denkmuster in bestehende Erwartungen zu sortieren, können wir das Abweichende und Neue entdecken. Empathisches Zuhören ermöglicht uns, das Gehörte aus der Perspektive eines Anderen nachzuempfinden und den Blick auf einen Gesamtzusammenhang zu werfen. Zukünftige Optionen können so gefunden werden, die jenseits des bereits Bekannten liegen.
Dafür ist es notwendig, vorgefertigte Absichten fallenlassen zu können und sich für neue Intentionen zu öffnen. So können sich neue Möglichkeiten des Seins eröffnen. Insbesondere bei einer disruptiven Veränderung ist es von Bedeutung, los-lassen und zu-lassen zu können. Zugleich brauchen wir Leitwerte, die Orientierung in der Transformation geben. Denn welchen Zielzustand wollen wir anstreben? In welchen Beziehungen wollen wir im privaten und beruflichen Kontext leben? Wie wollen wir mit den vorhandenen Ressourcen umgehen?
Die kultivierte Aufmerksamkeit
Ein wesentlicher Teil bei Veränderungen ist, wie sich die Intentionen des Einzelnen mit den Kollektiven – mit dem großen Ganzen – verbinden. Dieser Prozess erfordert Offenheit und Neugierde für das Kommende. Wenn uns klar ist, welche Werte uns leiten, kann es gelingen, eine gemeinsame Intention zu finden. Dafür ist es zunächst einmal wichtig, in sich selbst reinzuhören, gewohnte Denkmuster zu verlassen und verschiedene Sichtweisen zuzulassen. Statt einem „ja, ja das ist mir schon bekannt“ könnten wir uns einfühlen und unseren Horizont durch die Perspektive unseres Gesprächspartners erweitern. So können die eigene Situation, die meines Gegenübers und die gemeinschaftliche miteinander für die Verwirklichung von Potentialen verknüpft werden.
Nützliche Fragestellungen sind: Was ist mir wichtig – wofür stehe ich und wer will ich sein? Was möchten ich und mein Gesprächspartner mit dem Engagement erreichen? Was könnte neben dem mir Gewohnten noch sein? Wie könnte wohl unsere bestmögliche Zukunft aussehen? Wenn das für mich problematische Verhalten als Kompetenz gedeutet wird, welche wäre das dann? Welche Bedürfnisse sind mit dem jeweiligen Verhalten verbunden?
Wir richten unsere empathische Aufmerksamkeit sowohl auf uns selbst als auch auf andere Menschen in unserem privaten und beruflichen Umfeld. Ausgehend von der Frage, wer wir sind, können wir in einem größeren Zusammenhang eine gemeinsame Zukunft entwickeln. Diese zu konkretisieren, braucht neben einigen Mut auch die Kreativität, von der Idee ins Handeln zu kommen. Im gemeinschaftlichen Dialog werden die Momentaufnahmen der Wahrnehmungen der Situation zusammengefasst und in Bewegung gebracht. Ein neugieriger Geist, ein offenes Herz und ganz praktisches Tun fördern diesen Prozess.
Letztlich geht es darum, sich von den Mustern der Vergangenheit im Denken und Handeln zu lösen und die bereits im Entstehen begriffene Zukunft wahrzunehmen. Erspüren wir mit Herz und Geist, was gerade geschieht, und schauen auch durch die Brille anderer Menschen. Dann können wir durch unseren Willen ins Handeln kommen, Widerstände überwinden und bei jedem Schritt dazu lernen. Improvisation und Mut sind zweifellos bei der Umsetzung unserer Ideen gefragt.
In der U-Theorie verbindet Dr. Otto Scharmer Erfahrungen aus dem Management und Leadership-Denken mit Erkenntnissen aus der Psychologie, Philosophie und dem Konzept der Achtsamkeit. Voraussetzung für Veränderungen ist die Fähigkeit, uns der Struktur unserer Aufmerksamkeit bewusst zu werden. Denn worauf achten wir auf Grund welcher Denkmuster? Dieser für unsere Zukunftsfähigkeit innovative Veränderungsprozess wird Presencing genannt. Er beschreibt das Hineinspüren sowohl in unsere gegenwärtige Wahrnehmung als auch in zukünftige Möglichkeiten. Der Prozess beinhaltet verschiedene Phasen, die dazu führen, mit Widerständen auf der Ebene der Gedanken, des Fühlens und des Willens mit dem Ziel umzugehen, die Kompetenzen dieser Ebenen für eine gemeinsame Intention zu nutzen.
Der „Presencing- oder U-Prozess“
(1) Co-Initiating: Innehalten und die gemeinsame Absicht finden (2) Co-Sensing: Gemeinsam staunend auf die Situation schauen (observe). Hören wir uns empathisch zu bzw. in uns selbst rein und finden einen – gemeinsamen – Ausgangspunkt, wobei wir gewohnte Denkmuster zurückhalten und das neu Entstehende entdecken. (3) Presencing: Gehen wir in die Stille und nutzen das innere Wissen, um das Hinderliche loszulassen. Wir öffnen unser Denken, Fühlen und den Willen und versetzen uns in die Lage, die Zukunftsmöglichkeiten wahrzunehmen. (4) Co-Creating: Kreieren wir durch Ausprobieren einen Prototyp und erforschen dadurch die Zukunft (acting in an instant). Die Ideen werden in die Praxis umgesetzt und mittels learning-by-doing weiterentwickelt. (5) Co-Evolving: In Feedbackschleifen werden die Ergebnisse aus den Handlungsräumen der Akteure überprüft mit Blick darauf, was uns unserer Intention nähergebracht hat. Dann sind Strukturen zu gestalten, die die Nachhaltigkeit in der Wertschöpfung sichern können.
Die innere Haltung – Empathisches Zuhören und kreatives Handeln
Je nachdem aus welcher inneren Haltung wir beobachten, zuhören und handeln, kommen unterschiedliche Resultate heraus. Aus diesem Grund ist die Qualität des Zuhörens mit Empathie und ohne Urteilsbildung, Zynismus und Angst für die Qualität der Beziehungen und Kommunikation so bedeutsam. Richten wir unsere Aufmerksamkeit immer wieder auf das empathische Einfühlen, um zu erspüren, aus welchen Beweggründen jemand handelt. Sichten wir die neuen Erkenntnisse, die durch das Zuhören ohne das gewohnte Urteilen entstehen! Wie oben beschrieben, halten wir die Erfahrungen aus der Vergangenheit zurück und erfassen die Zukunftsmöglichkeiten von uns selbst, unserem Gegenüber und der gemeinschaftlichen Situation mit Neugierde und Achtsamkeit. Die Intelligenz des Kopfes, des Herzens und der Hände werden in ein Gleichgewicht gebracht. Wir können beginnen, kreativ zu agieren.
In einer unsicheren und sich rasch verändernden Welt sind wir geradezu aufgefordert, an der Kultivierung der eigenen Aufmerksamkeit zu arbeiten, wollen wir handlungsfähig bleiben. Dadurch bietet sich uns die Chance, bei Herausforderungen anders hinzuschauen und zuzuhören, statt Eindrücke einfach einzusortieren und zu urteilen. Wir könnten uns im Rahmen von Leadership immer wieder fragen: Was hat das mit mir zu tun, mit uns, mit dem, was wir sein können und wollen? Welche bestmögliche Zukunft stellen wir uns vor? Welcher praktische erste Schritt könnte ein guter Beitrag für das Gewünschte sein? Was könnte dies verhindern oder erschweren und was erleichtern? Welchen eigenen Beitrag will ich leisten?
Im Feld von Leadership und Self-Leadership fragen wir und hören wir zu, wo konkret Unterstützung gebraucht wird. Es wird – gemeinsam – erwogen, welcher Beitrag – von wem – sinnvoll wäre, damit ein sinnvolles Ergebnis zustande kommen kann. Hier geht es auch um Verteilung und Übernahme von Verantwortung. Regelmäßige Feedbacks ermöglichen die Reflexion, ob und wie etwas gelungen ist. Und damit weiterhin vom Ganzen her gehandelt werden kann, öffnen wir immer wieder unseren Geist (Mind), unser Herz (Heart) und unseren Willen (Will). Individuelle und kollektive Entwicklungsprozesse werden somit angestoßen, da Erfahrungsschätze entstehen, die praxisfähige und innovative Lösungen ermöglichen.
Zusammenfassend fördern folgende Prinzipien diesen Entwicklungsprozess:
- Hinschauen und Zuhören, ohne zu urteilen
- Wertschätzend mit einer empathischen Haltung hineinspüren
- Anwesend werden und sich aufeinander einlassen, um das Neu-entstehende zu entdecken
- Visionen bewusst machen und konkretisieren
- Die Zukunft mit den Händen, statt nur mit dem Kopf ausprobieren
- Feedback nutzen und Prototypen weiterentwickeln
- Strukturen gestalten und Handlungsräume schaffen, in denen Akteure zusammenfinden können
Zu den wichtigsten Aufgaben von Führungskräften gehört es, Entscheidungen zu treffen und gemeinsame Entwicklungsprozesse anzustoßen. Wenn es gelingt, eine produktive Co-Kreativität in Gang zu bringen, kann sich eine Organisation mit Fokus auf die Wertschöpfung in der VUCA-Welt weiterentwickeln. Ein für die soziale Interaktion förderlicher Mechanismus ist – neben der Pflege guter Beziehungen – eine qualitativ hochwertige Kommunikation. Empathisches Zuhören ist ein wesentlicher Aspekt davon.
Wohin wir unsere Aufmerksamkeit richten, wie wir in der Gegenwart miteinander in den Austausch für gemeinsame Interessen gehen, uns zuhören und uns für Neues öffnen, wirken sich auf die Gestaltung unserer Lebenswelt aus. Für einen gelingenden Transformationsprozess ist relevant, sich selbst mit den eigenen Bedürfnissen, Interessen und Kompetenzen näher kennenzulernen. Lernen können wir nicht nur von der Vergangenheit, sondern auch von der Zukunft.
Folglich heißt es für die Erweiterung der eigenen Handlungsfähigkeit, die individuellen und kollektiven blinden Flecken zu entdecken und auszufüllen. Um sich Veränderungen zu erschließen, haben Sie die Möglichkeit, systemisches Coaching oder Supervision zu nutzen. Wenn ich Ihr Interesse geweckt habe, setzen Sie sich doch einfach mit mir in Verbindung. Freuen Sie sich auf empathisches Zuhören und den gemeinsamen Austausch über Ihre Anliegen!