Hypnosystemisches Coaching und die Bedeutung der Fokussierung von Aufmerksamkeit
„Wofür“ denn bitte ist hypnosystemisches Coaching gut und was hat das mit Aufmerksamkeitsfokussierung zu tun? So oder so ähnlich könnte Ihre Fragestellung lauten. Deshalb möchte ich Ihnen in diesem Beitrag das Hypnosystemische Konzept von Dr. Gunther Schmidt mit seinen wesentlichen Komponenten beschreiben.
Während meiner Weiterbildung zur systemischen Beraterin wurde Gunther Schmidt des öfteren zitiert. Und ich wurde immer neugieriger auf sein Hypnosystemisches Modell. Im Rahmen der Sommeruniversität des Metaforum International 2017 nutzte ich die Gelegenheit, eine zertifizierte Fortbildung mit dem Titel Hypnosystemische Konzepte bei ihm zu absolvieren. Dabei habe ich nicht nur Gunther Schmidt kennen und schätzen gelernt, sondern auch ein gutes Praxisfeld durch die zahlreichen Übungen und Live-Coachings erlebt.
Gunther Schmidt und das Phänomen des Ist-Soll-Abgleichs
Dr. med. Gunther Schmidt ist Diplom-Volkswirt, renommierter Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Ärztlicher Direktor der SysTelios-Privatklinik für psychosomatische Gesundheitsentwicklung, Coach, Dozent, Buchautor und Referent auf zahlreichen Kongressen. Darüber hinaus leitet er das Milton Erickson Institut in Heidelberg und ist Mitbegründer sowie Lehrtherapeut des Helm Stierlin Instituts für systemische Psychotherapie, Beratung und Supervision in Heidelberg. Zudem ist er auch Mitbegründer und Senior Coach des Deutschen Bundesverbands Coaching (DBVC). Im Jahr 2015 bekam Gunther Schmidt den Coaching Award Preis und 2017 den WinWinno Preis für besondere Verdienste und Leistungen verliehen.
Als federführender Pionier integrierte er systemische Modelle und die Konzepte der Hypnotherapie nach Milton Erickson zu einem Hypnosystemischen Konzept. Der Ansatz wurde bereichert durch hilfreiche Aspekte aus dem Psychodrama, der Körpertherapie und der Transaktionsanalyse. Neurowissenschaftliche Forschungsergebnisse der modernen Hirnforschung fließen in die Konzeption mit ein und liefern Beschreibungen, wie unser Gehirn aufgebaut ist und wie innere sowie äußere Reize verarbeitet werden.
Aus hypnosystemischer Sicht werden Probleme als „Lösungsversuche mit einem hohen Preis“ betrachtet, die durch eine Ist-Soll-Diskrepanz in der Wahrnehmung entstehen. Es stellt sich auch die Frage, ob ein gewünschtes Ziel selbstwirksam erreicht werden kann. Welche Auswirkungen hätte es, wenn sich jemand anders als bisher verhalten würde? Darüber hinaus geben Probleme wertvolle Informationen über Bedürfnisse, die im Umgang mit sich selbst und der Außenwelt bislang zu wenig erfüllt sind. Ob Beratung, Coaching oder Supervision, im Fokus steht die Orientierung auf Ressourcen, Kompetenzen und Bedürfnisse, die auch im Problem enthalten sind und für die gewünschte Lösung genutzt werden können.
Aufmerksamkeitsfokussierung – Hypnose und Trance als Begrifflichkeiten
Welche Bedeutung hat nun die Fokussierung der Aufmerksamkeit in Bezug auf die Problem- und Lösungstrance? Es entsteht leicht Irritation, wenn Begriffe wie Hypnose oder Trance verwendet werden. Die Vorstellungen davon sind häufig mit Vorurteilen und Missverständnissen verbunden. Unter Trance wird in unserer Kultur meistens verstanden, dass eine Person sich durch Hypnose als passiv-rezeptiv und tiefenentspannt in einer anderen Welt absorbiert erlebt. Im Hypnosystemischen Konzept wird Hypnose definiert als ein interaktioneller Prozess der Fokussierung von Aufmerksamkeit auf das willentliche und insbesondere auf das unwillkürliche Erleben. Als Trance werden unwillkürliche Erlebnisprozesse in uns angesehen, die wesentlich schneller und wirksamer ablaufen als die willentlichen bzw. willkürlichen Reaktionen. Dies zeigt sich auch in dem Ausspruch: „Es ist halt passiert“. Wenn wir lange Zeit um ein Problem „herumkreisen“, engt sich unser Wahrnehmungsfokus ein. Wir versetzen uns quasi selbst in eine „Problemtrance“ durch eine Fokussierung der Aufmerksamkeit auf das Problemerleben. Infolgedessen fallen uns dann keine Lösungsstrategien mehr ein. Wir stecken in einem Gedankenkarussel fest. Die moderne Hirnforschung belegt, dass einmal gemachte Erfahrungen dauerhaft im Gehirn gespeichert sind und somit auch die Kompetenzen. Eine gezielte systematische Fokussierung auf gelungene Episoden selbst in schwierigen Lebensphasen trägt dazu bei, von einer Problem- in eine Lösungstrance zu kommen. Die eigene Selbstwirksamkeit und vorhandene Ressourcen werden wieder entdeckt. Das gewünschte Erleben im Zielzustand wird im weiteren Verlauf so konkret und plastisch wie möglich beschrieben, um die Motivation für Veränderungen zu stärken.
Hypnosystemisches Coaching nutzt neben zirkulären Fragen auch gezielt Imaginationen, Geschichten und Metaphern. Diese Interventionen sprechen das limbische System an und können gewohnte Muster des Denkens und Handelns unterbrechen. Letztlich erzeugen wir unserer Erleben auf Grund der Fokussierung von Aufmerksamkeit auf innere oder äußere Prozesse. Die Wechselwirkung mit der Dynamik des Kontextes, in dem wir uns bewegen, spielt dabei eine wesentliche Rolle. Je nachdem, ob wir Kraft spendende und ermutigende oder abwertende und ängstigende Situationen erleben, springt ein Netzwerk im autobiographischen Gedächtnis an (Hebb’sches Gesetz). Dies führt angesichts der meist unwillkürlich ablaufenden Prozesse dazu, dass wir uns als kompetent oder ängstlich erleben bzw. von anderen Menschen so wahrgenommen werden. Diese Prozesse werden im Coaching gemeinsam reflektiert und in eine gewünschte Richtung gelenkt.
Steuer-Position durch Körperkoordination
Wie oben schon beschrieben lenken viele Interventionen im hypnosystemischen Coaching die Aufmerksamkeit gezielt auf zuversichtsorientierte Erfahrungen. Dieser Prozess wird als stärkend erlebt und unterstützt das Gefühl der Selbstwirksamkeit. Die Aufmerksamkeitsfokussierung beeinflusst nicht nur mentale Prozesse, sondern auch unseren Körper physiologisch. Alle Signale aus der Außenwelt werden im Gehirn verarbeitet. Zur Bewertung werden Informationen auch an das Zwischenhirn in die sogenannte Amygdala geleitet. Die verarbeiteten Erfahrungen und Emotionen führen zu einer Kaskade von Reaktionen des Hormon- und autonomen Nervensystems, um über Kampf, Flucht oder Todstellreflex das Überleben zu sichern (Polyvagal Theorie). Unser Körper reagiert mit Verspannungen, Herzklopfen, Schweißausbrüchen und einer flachen Atmung, wenn wir uns bedroht fühlen. Anders reagiert unser Körper in Situationen, in denen wir uns gut und sicher fühlen. Hier können wir beispielsweise eine Lockerheit, tiefe ruhige Atmung und einen klaren, nach vorne gerichteten Blick spüren. Im hypnosystemischen Ansatz wird der Körper als eine weitere Chance für mehr Gestaltungsfähigkeit und Wahlmöglichkeit eingesetzt. Sogenannte somatische Marker dienen dem mehr bewussten und willkürlichen Erleben. Der Körper ist dann eine Transferhilfe, um beim Anspringen eines Problemmusters in ein Lösungsmuster zu wechseln.
Hypnosystemisches Coaching bietet den Raum, mit typischen Körperhaltungen und Atemmustern zu experimentieren, die während des Problem- oder Lösungserlebens eingenommen werden. Daraus wird eine „Steuer-Position“ aufgebaut. Modelliert wird mit mehreren Sinnen wie Körperkoordination, Kopf-Haltung, Blick, Atmung, Stand und Kontakt zum Boden. Imaginiert werden bei Bedarf auch schützende Grenzen mit Kontaktfähigkeit, Beweglichkeit und Handlungsfähigkeit. Die für sich gefundene Steuer-Position, in der Sicherheit und Orientierung erlebt wird, wird in einem „Bild“ verankert. Wenn somatische Marker wie Verspannungen und/oder Altersregression im Verhalten anspringen, wird das Bild der Steuer-Position „aufgerufen“, um in das gewünschte Erleben und in die Handlungsfähigkeit zu kommen. Gunther Schmidt bezeichnet diese sehr wirksame Methode des Embodiment auch als „Problemlöse-Gymnastik“.
Das Seitenmodell oder „wie viele Ich’s bin ich denn?“
Als eine weitere hilfreiche Intervention hat es sich erwiesen, leidvolle Prozesse als das Erleben einer Seite in einem Menschen anzusehen. Das „Seitenmodell“ beschreibt, dass nicht die ganze Person das Problem hat, sondern nur eine Seite in ihr. Dies führt zu einer starken Entlastung. Plausibel wird das Modell, wenn wir uns bewusst machen, welche inneren Dialoge wir führen, in denen wir mit Ärger, Wut, Verzweiflung oder Selbstbeschimpfungen reagieren. Wir alle kennen nur allzu gut den eigenen „Inneren Kritiker, den Perfektionisten, Skeptiker, Zweifler, Angepassten, Enthusiasten, Mutigen, Kämpfer …“ . Einen Zugang zu diesen Seiten ermöglichen die Fragen: „Wie redest du dann mit dir?“, „Wie gehst du dann mit dir um?“ oder „Wie alt erlebst du dich dann?“. Und es ist eben ein Unterschied, ob wir sagen: „Ich habe Angst“ oder „Eine Seite von mir erlebt Angst“. In der Regel ist die zweite Aussage günstiger für das Erleben von Kompetenz und Zuversicht. Die verschiedenen Seiten in uns sind als wertvolle Repräsentanten von Bedürfnissen und Kompetenzen anzusehen.
Hypnosystemisches Coaching unterstützt Menschen dabei, ein steuerndes und kooperierendes „Ich“ und einen achtsamen Umgang mit sich selbst aufzubauen. Die verschiedenen Seiten werden dabei selbstfreundlich wie ein Team behandelt. Ihre Ressourcen können zieldienlich für das gewünschte Erleben eingesetzt werden.
Probleme und Loyalitätskonflikte
Ein wesentliches Ziel im Hypnosystemischen Konzept ist es, die Eigenkompetenz des Menschen zu (re-)akivieren. Dabei wird die Lebenswelt mit berücksichtigt, die sich durch die Beziehungen zu anderen Personen ergibt. Aus einer kompetenzfokussierenden Perspektive werden Probleme gemeinsam beleuchtet als ein oftmals unbewusster Ausdruck bestimmter Bedürfnisse. In ihren Auswirkungen dienen Probleme im Beziehungssystem oft als beziehungsstiftende Kompetenz. Sie ist zu würdigen, da Menschen soziale Anbindungen und Sicherheiten brauchen (Bezogene Individuation). Viele Problemmuster sind Loyalitätsleistungen, allerdings verbunden mit erlebtem Leid. In ihren Auswirkungen beeinflussen Problem- und Lösungsmuster immer die Beziehung zu sich selbst und anderen. Dadurch können Ambivalenzen entstehen. Mit diesen Zwickmühlen ist acht- und behutsam umzugehen. Veränderungen hin zum gewünschten Erleben brauchen jedoch Zeit. „Ehrenrunden“ dürfen gedreht werden und dienen als Übungsfeld.
Hypnosystemisches Coaching bezieht eine „Kosten-Nutzen-Analyse“ mit ein, bei der beide Muster auf ihre Auswirkungen in den bedeutsamen Beziehungssystemen überprüft werden. Bei Ambivalenzen ist es hilfreich, ein Ziel zu entwickeln, das im Sinne einer Sowohl-als-auch-Perspektive die Autonomie einerseits und die Loyalität andererseits vereinbar macht.
„Zweitbestes Ziel“ oder der Umgang mit Restriktionen
Der Umgang mit Restriktionen ist ebenfalls relevant. Situationen, die nicht beeinflussbar sind, führen bei Menschen oft zu einem Gefühl, ein Opfer zu sein. Manche Menschen kämpfen bis zur Erschöpfung dagegen an oder ergeben sich apathisch in ihr Schicksal. In dieser Situation ist der Fokus, auf die eigene Gestaltungsfähigkeit zu legen. Das Ziel ist dahingehend zu optimieren, dass ein „Zweitbestes Ziel“ mit Erleben von Kompetenz aufgebaut wird. Da das eigentliche „Sehnsuchtsziel“ nicht erreicht werden kann, ist dies oft mit dem Erleben von Frustration und Wut verbunden. Mit den zurückgestellten Wünschen ist liebevoll umzugehen. Die Hoffnung auf die Erreichbarkeit des eigentlichen Ziels darf beibehalten werden. Möglicherweise ist es nämlich zu einer anderen Zeit und unter anderen Bedingungen erreichbar.
Hypnosystemisches Coaching respektiert Widerstand und Skepsis gegenüber der Beratung. Durch die Fokussierung unserer Aufmerksamkeit entscheiden wir uns, welche Haltung wir in schwierigen Situationen einnehmen und ob wir uns zu einer Problem- oder Lösungstrance einladen lassen.
Hypnosystemisches Coaching – Wahlfreiheit, Orientierung und Kompetenzerleben
Die Frage, „wofür“ denn ein hypnosystemisches Coaching gut ist, möchte ich mit dem Zitat von Gunther Schmidt (2016: 97) beantworten: „Wahlfreiheit zu haben und das Gefühl, selbst steuern zu können und Sinn gebende Erklärungen und Orientierung aufbauen zu können, sind entscheidende Elemente eines Lösungsmusters“. Der hypnosystemische Ansatz unterstützt über die Fokussierung der Aufmerksamkeit ein Kompetenzerleben, was dazu beiträgt, selbstwirksam Ziele zu erreichen. Die klassischen systemischen Methoden verbinde ich deshalb im Coaching mit dem sinnlichen Erleben von inneren und äußeren Bildern, Dialogen, Atemmustern und Körperkoordinationen, um die „inneren Filme und Dialoge“ zielorientiert zu verändern. Gerade die Körperkoordinationen können, wie oben beschrieben, bewusst beeinflusst und genutzt werden. Alte Muster des Verhaltens und Erlebens werden unterbrochen und neue initiiert.
Sowohl im Coaching als auch in der Beratung und Supervision beziehe ich mich zur Kompetenzfokussierung immer wieder auf das Hypnosystemische Konzept, um über eine gezielte Lenkung der Aufmerksamkeit (Priming) auf die „laufenden“ Prozesse eine bessere Synergie zwischen kognitiven und intuitiven Kompetenzen für das gewünschte Ziel zu erreichen. Die Hypnosystemische Arbeitsweise bietet vielfältige Möglichkeiten, schnell in eine optimale Selbststeuerung zu kommen, damit selbstwirksam Ziele erreicht werden können. Mit einer respektvollen Haltung Ihnen gegenüber unterstütze ich Sie dabei, Ihre Kompetenzen und Lösungswege zu entdecken.
Wenn Sie neugierig geworden sind und Fragen zum Hypnosystemischen Coaching haben, können Sie sich gerne an mich wenden. Ich freue mich auf einen persönlichen Kontakt mit Ihnen.
Unter dem Link des Weiterbildungsportals Managerseminare „Burnout ist eine Kompetenz – Gunther Schmidt im TV-Interview“, werden von dem Pionier des Hypnosystemischen Konzepts wichtige Aspekte erklärt und auch die Sichtweise auf Burnout beschrieben.
Weitere Informationen zu der Kraft von inneren Bilder, die durch Hypnose und Selbsthypnose angeregt werden, finden Sie auch in dem Beitrag der ARD-Mediathek „Heilen mit Hypnose – Die Macht der inneren Bilder“. Hier wird die Arbeitsweise von Dr. Gunther Schmidt bei der Behandlung von Klienten vorgestellt. Zusätzlich haben Sie die Möglichkeit den Blogbeitrag „Podcast – Hypnosystemisches Coaching“ anzuschauen und das Interview anzuhören. Wenn Sie gerne lesen und vertiefende Informationen zum Hypnosystemischen Konzept wünschen, ist das Fachbuch „Liebesaffären zwischen Problem und Lösung“ empfehlenswert.