Eine andere Weihnachtsgeschichte oder neue Perspektiven
Geschichten haben eine lange Tradition. Geschichten rufen in uns nicht nur innere Bilder hervor, die unsere emotionale Befindlichkeit wesentlich stärker beeinflussen als das kognitive Denken, sondern enthalten auch Botschaften. Eine Weihnachtsgeschichte zu lesen, gehört selbst heutzutage noch für viele Familien zur Weihnachtszeit.
Geschichten sind auch in vielen Weihnachtsliedern „verpackt“, wie in „I am dreaming of a white christmas“. Wussten Sie, das dieses Lied hat eine erstaunliche Historie hat? Es ist eine der meist verkauften Singles und wurde von Bing Crosby gesungen. Komponiert hat den Song Irving Berlin, der Noten weder lesen noch schreiben konnte. In Notenform umgesetzt wurde die Komposition von seinem Sekretär Helma Kresa, der somit den besten Song aller Zeiten niedergeschrieben hat. Rückblickend ist durch das Zusammenwirken verschiedener Leute eine Erfolgsgeschichte entstanden!
Mit dem Blick darauf, dass wir mit Weihnachten gewisse Erwartungen verbinden, habe ich nun für Sie eine weitere ganz spezielle Weihnachtsgeschichte herausgesucht, die von Macken und Fehlern erzählt. An die Geschichte schließt sich eine mögliche Deutung an. Mit ihr möchte ich Mut machen für den Umgang mit Ecken und Kanten bei sich und anderen. Jeder Mensch erzeugt jedoch seine eigenen Bilder im Kopf, wenn er eine Geschichte hört oder liest. Ihre Interpretation der Geschichte könnte demnach eine andere sein als meine persönliche.
Ich lade Sie jetzt ein, diese Geschichte zu lesen. Nehmen Sie die Blickwinkel der Protagonisten ein, um sich in die Handlung eindenken und einfühlen zu können. Lassen Sie sich einfach inspirieren.
Der Sprung in der Schüssel
„Es war einmal eine alte chinesische Frau, die zwei große Schüsseln hatte, die von den Enden einer Stange hingen, die sie über ihren Schultern trug. Eine der Schüsseln hatte einen Sprung, während die andere makellos war und stets eine volle Portion Wasser fasste. Am Ende der lange Wanderung vom Fluss zum Haus der alten Frau war die andere Schüssel jedoch immer nur noch halb voll.
Zwei Jahre lang geschah dies täglich: die alte Frau brachte immer nur anderthalb Schüsseln Wasser mit nach Hause. Die makellose Schüssel war natürlich sehr stolz auf ihre Leistung, aber die arme Schüssel mit dem Sprung schämte sich wegen ihres Makels und war betrübt, dass sie nur die Hälfte dessen verrichten konnte, wofür sie gemacht worden war.
Nach zwei Jahren, die ihr wie ein endloses Versagen vorkamen, sprach die Schüssel zu der alten Frau: „Ich schäme mich so wegen meines Sprungs, aus dem den ganzen Weg zu deinem Haus immer Wasser läuft.“
Die alte Frau lächelte. „Ist dir aufgefallen, dass auf deiner Seite des Weges Blumen blühen, aber auf der Seite der anderen Schüssel nicht? Ich habe auf deiner Seite des Pfades Blumensamen gesät, weil ich mir deines Fehlers bewusst war. Nun gießt du sie jeden Tag, wenn wir nach Hause laufen. Zwei Jahre lang konnte ich diese wunderschönen Blumen pflücken und den Tisch damit schmücken. Wenn du nicht genauso wärst, wie du bist, würde diese Schönheit nicht existieren und unser Haus beehren.“
(Autor unbekannt)
Das Resümee dieser Weihnachtsgeschichte könnte so lauten:
Jeder von uns hat seine ganz eigenen Macken und Fehler. Es sind genau diese Macken und „Sprünge“, die unser Leben interessant und lebenswert machen können, wenn wir uns und anderen Menschen mit Achtsamkeit begegnen. Unser Wohlbefinden wächst, wenn wir die Menschen einfach mal so zu nehmen, wie sie sind, und das Gute in ihnen zu sehen.
Das Verhalten von Menschen situationsbezogen zu betrachten, ermöglicht neue Perspektiven zu entwickeln. Es lohnt sich, auch sich selbst mit den eigenen Fehlern wertzuschätzen. Wenn wir auf das blicken, was sich letztlich positiv in unserem Leben entwickelt hat, gelingt uns dies wesentlich leichter.
Wie wertvoll ist es außerdem, sich zu fragen, was welche Bedürfnisse wir und unsere Mitmenschen haben. Ist uns dies klarer, können wir überlegen, was jeder für die Erfüllung beitragen könnte.
Zu beobachten, wie freundlich ich mit selbst umgehe, könnte ein erster Schritt zu mehr Wertschätzung und Mitgefühl sein. Und das wirkt sich sowohl auf die eigene Zufriedenheit als auch auf die Verbundenheit mit anderen Menschen positiv aus.
Für die Weihnachtstage und darüber hinaus wünsche ich allen Lesern meiner Seite – insbesondere denen mit „einem Sprung in der Schüssel“ – eine wundervolle Zeit. Nutzen Sie die Chance der Selbststeuerung, um Situationen anders als bislang zu interpretieren und neben der Schönheit auch den Duft der Blumen auf der Seite des Pfades genießen zu können.
Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch in ein besonderes Neues Jahr,
Birgit Wagner